Die Portofreiheitsmarken der Schweiz von 19I1/27 (III)
Abb. 7: Postkarte vom 24.X.1920, unnötigerweise mit 8Rp frankiert, anstatt nur mit 5Rp
". . . die Institutionen hatten also 8 Rappen aufzukleben" (Abb. 7), so zu lesen im Schlussatz des II. Teils in der POSTGESCHICHTE Nr. 14/83. Irrtum! Die PTT-Verfügung Nr. 216 vom 22.12.1917, die für die auf den 1. Januar 1918 in Kraft getretene Posttaxenerhöhung die Neuausgabe von Frankomarken zu 2^/2 und zu 7J/2 Rappen bekannt machte, informiert über die Portofreiheit der Institutionen wie folgt: "Die Postfreimarken für das Jahr 1918 sind den bezugsberechtigten Vereinen und Anstalten bereits geliefert worden. Da sie als einfache Kontrollmarken dienen, sind die Marken zu 5 und 10 Rappen ohne weiteres entsprechend den alten Brieftaxansätzen als vollwertig zu betrachten und anzuerkennen. " Bereits zum zweiten Mal hatte die Postverwaltung damit den wohltätigen Institutionen eine Konzession gemacht für die Freimachung der Drucksachen.
Der frühere Anlass war die Posttaxenerhöhung auf den 1. Februar 1916 gewesen. Die Verfügung Nr. 10 der Schweizerischen Postverwaltung vom 20. Januar 1915 sagte für die Postfreimarken folgendes: "Die für das Jahr 1915 an die berechtigten Anstalten und Vereine bereits abgegebenen Postfreimarken des 2-RpTaxwertes werden nicht durch solche zu 3 Rappen ersetzt. Sie können, in ihrer Eigenschaft als einfache Kontrollmarken, weiter verwendet werden und sind ohne weiteres als vollwertig zur Frankierung von Drucksachen bis zum Gewicht von 50 g zu betrachten und anzuerkennen".
Herr Max Schio hat mich freundlicherweise auf diese Sonderbestimmung auf merksam gemacht. Ich danke ihm für diesen wertvollen Hinweis, ebenso für die Überlassung des 12-Rp-Nachnahmebriefes zu Publikationszwecken (Abb. 8).
Abb. 8: Dmcksachenkarte mit regulärer Portofreiheitsfrankatur von 2 Rp und vorschriftsgemässem Frankaturzusatz von 10 Rp (mit Dauermarken) für die Nachnahmeprovision.
Ab 1915 wurden keine 2-Rp-Marken mehr an die Institutionen abgegeben. Gemäss einer Karteinotiz der Wertzeichendruckerei Bern wurden die Institutionen - im Widerspruch zur Verfügung Nr. 10 vom Januar - im November desselben Jahres dann doch noch mit 3-Rp-Marken versorgt. Die Postverfügung Nr. 226 von Ende 1916 teilte mit, "dass die da und dort noch vorrätigen Postfreimarken zu 2 Rappen auf Ende des Jahres 1916 von den Amtalten, Gesellschaften und Vereinen zurückgezogen werden und vom 1. Januar 1917 an keine Gültigkeit mehr haben". Die Drucksachen dieser Periode verdienen also ein besonderes Augenmerk. Trotz dieser Ungültigkeitserklärung kamen aber noch bis ins Jahr 1921 Frankaturen mit 2-Rp-Postfreimarken vor, vorwiegend in grösseren Einheiten (Abb. 9).
Abb. 9: Tapetenfrankatur vom 20.VI.21 mit 2-Rp-Marken, die offiziell am 31.12.16 ihre Gültigkeit verloren hatten.
Noch in einem zweiten Punkt war aber die Verfügung von 1915 bemerkenswert. Die Portofreiheitsmarken erhielten darin ihren 4. amtlichen Namen: einfache Kontrollmarken. Meines Erachtens war die Post in einem Dilemma und ich frage mich, ob die 2-Rp-Marken tatsächlich zurückgezogen wurden. Warum sollten 5 mal 2 Rp oder 10 mal 2 Rp nicht für reguläre Frankaturen verwendet werden können? Vielleicht lag es auch an der Vergesslichkeit der Postbeamten, dass die späteren Sendungen nicht taxiert wurden, oder am Umstand, dass während und auch kurz nach dem 1. Weltkrieg noch verschiedene Institutionen, über 50 an der Zahl, Portofreiheit genossen, ohne dass an sie Postfreimarken abgegeben worden wären. Und so durfte doch sicher eine Karte oder ein Brief, mit einfachen Kontrollmarken frankiert, unbeanstandet durchschlüpfen! Die Postverwaltung hatte die Wahl, entweder an den Bundesrat zu gelangen zwecks Abänderung der Abgabevorschriften resp. zwecks einer "Krediterhöhung", denn der Gesamtbetrag für die portofreien Sendungen musste jährlich von dieser höchsten Instanz bewilligt werden, oder aber eine interne Verwaltungsmassnahme zu treffen.
Für die Abgabe der Postfreimarken an die Institutionen verwendete die Post zwei ähnliche Vordruckcouverts, das eine war grau im Format 205 x 137 mm, das andere beige im Format 265 x 181. Sie waren handschriftlich mit der Institutionsnummer und der bewilligten Quote zu ergänzen.
Im Jahre 1910 sollen ca. 480 Gesuche für den Bezug von Portofreiheitsmarken eingegangen sein. Das Postdepartement hatte sich das Zuteilen der Kontrollnummern vorbehalten. Die Numerierung begann im Westen bei Genf, d.h. im I. Postkreis, mit den tiefsten Nummern und endete im Osten, genauer gesagt im Süden im Postkreis XI bei der Nummer 468. Jährlich wurden dann nach dem gleichen System weitere Nummern an die neuen Gesuchsteller vergeben, womit sich, geographisch gesehen, zwar ein organisiertes aber verwirrendes Durcheinander ergeben hatte. Im Jahre 1925 befand die Postverwaltung das verwendete Nummernsystem als zu schwerfällig. Man beschloss, jedem der elf Postkreise für die in der Region liegenden Institutionen eine bestimmte Anzahl Nummern zuzuweisen, mit einer Nummernreserve für spätere Zuteilungen. Nebst dem organisatorischen Anlass war aber dafür auch ein äusserer vorhanden. Nach Verhandlungen mit der Sanitätsdirektorenkonferenz wurden nämlich durch den Bundesratsbeschluss vom 11.IX.1925 auch an Spitäler und Krankenhäuser - falls diese ihre Leistungen ganz oder teilweise gegen Entgelt gewährten (Verfügung 198/1925) — Postfreimarken geliefert und damit die markenlose Portofreiheit abgelöst. So erschienen auf einen Schlag etwa 170 neue Institutionen, wovon je ca. 50 Kantons-, Bezirks- und Gemeindespitäler, dazu kamen noch etwa 20 Privatspitäler. In einigen Postkreisen wurden diese neuen Bezüger den bisherigen in der Numerierung vorangestellt.
Die Nummern für die Postkreise sind: I Genf 1-100 (61/68); II Lausanne 101-300 (218/218); III Bern 301- 400 (375/393); IV Neuenburg 401 - 500 (473/482); V Basel 501 - 600 (560/565); VI Aarau 601 - 700 (653/658); VII Luzern 701 -800 (733/741); VIII Zürich 801 - 1000 (936/944); IX St. Gallen 1001 - 1100 (1070/1081); X Chur 1101 - 1150 (1127/1130) und XI Bellinzona 1151 - 1200 (1181/1190). Die in Klammern gesetzten Zahlen sind die höchsten Mitte 1926 bzw. 1945 in den betreffenden Postkreisen zugewiesenen Kontrollnummern. Nummern von 1131 — 1150 und von 1191 — 1200 sind nicht bekannt. Hier ist zu bemerken, dass nebst dem Postkreis X vor allem der Postkreis XI nicht genügend Nummern in Reserve hatte und frei gewordene Nummern an neue Gesuchsteller wieder ausgeben musste (gilt nur für die grossen Kontrollnummern). In der bereits einmal zitierten Verfügung Nr. 198 von 1925 gab die Post bekannt, dass die Wohltätigkeitsmarken mit den alten (kleinen) Kontrollnummern vom 1. Januar 1926 an nicht mehr zur Frankierung verwendet werden durften. Allfällige nachherige Sendungen waren von den Poststellen an die Absender zu- • rückzugeben, unter gleichzeitiger Mitteilung an die vorgesetzte Kreispostdirektion, behufs Rückforderung des Vorrats an alten Marken.
Abb. 10: Die Wohltätigkeitsmarken von 1935 (ZUNr. 14-16A). Sie wurden verwendet bis ca. 1945: offizielle Kursdauer bis 31. Dezember 1955.
Die Ausgabe von 1926 unterscheidet sich von den früheren weder in der Farbe noch im Papier, aber durch die grösseren und fetteren Kontrollziffern. Es wurden nur noch die Werte 5, 10 und 20 Rappen benötigt und darum auch nur noch diese 3 Werte gedruckt.
Im folgenden Jahr wurden diese Werte wieder herausgegeben, jetzt aber in einem freundlichen Grün auf weissem Papier. Damit war die Aera der "feldgrauen" Marken zu Ende. Die Kontrollnummern dieser dritten Ausgabe sind breit und mager, also wieder etwas geändert, während die Nummernzuteilung dieselbe blieb. Diese Sorte stand im Gebrauch bis 1935, als sie durch Portraits von Diakonissen und von Henri Dunant abgelöst wurde (Abb. 10). Ab 1945 wurden keine Portofreiheitsmarken mehr an Institutionen abgegeben; die Kursdauer reichte aber bis Ende 1955.
In einem zweiten Teil werde ich dann darstellen, wie bei diesem Sammelgebiet noch weiter geforscht werden kann. Bevor ich mit dem 1. Teil schliesse, will ich aber einem grossen Kenner dieses Gebietes, Herrn Felix Ganz, der ja den Lesern der POSTGESCHICHTE übrigens kein Unbekannter ist, noch danken für seine grosse Vor- und Mitarbeit.
An dieser Stelle möchte ich aber auch nicht versäumen, noch auf einen besonderen Aspekt kurz hinzuweisen. Schauen wir uns doch einmal einige Namen der hier zur Diskussion stehenden Institutionen an:
- - Anstalt zur Hoffnung für schwachsinnige Schulkinder
- - Basler Hilfsverein für Brustkranke
- - Ferienkolonie + Suppenanstalt armer Schulkinder der Stadt S.
- - Armenerziehungsverein des Bezirkes A.
- - Verein gegen Hausbettel
- - Schweiz. Erziehungsanstalt für verwahrloste Knaben
- - Komitee der Anstalt für skrophulöse + rhachitische Kinder in U.
- - Hülfsverein zur Kleidung verwahrloster Kinder
- - Badarmen-Spital
- - Verband deutsch-schweiz. Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit.
Nur schon diese Namen zeigen uns doch, welche Probleme in den letzten Jahrzehnten in unserer Gesellschaft bestanden - oder heute noch bestehen?! Ich meine aber, dass einige Institutionen von damals mit ihren Namen heute weder beim Volk und noch weniger bei den Betroffenen ankämen.
© Schweizerische Vereinigung für Postgeschichte / SVPg