Schweizer Diplomatenpost für Paris, 1870 — 71

Ein Teil der Korrespondenz des Schweizer Gesandten im belagerten Paris befindet sich im Bundesarchiv Bern.1) Darin gibt es Anspielungen auf eine Verbindung von Bern und Paris über das preussische Hauptquartier in Versailles. Die meiste Post von Dr. Kern flog allerdings per BaiIon aus Paris, oder sie fand ihren Weg heraus sowie hinein in der diplomatischen Tasche der Vereinigten Staaten von Amerika. Letztere ging zwar auch über Versailles, ist aber nicht damit gemeint. Zum Unterschied davon ist nämlich die Rede von offenen Briefen, die durch Bismarcks Vermittlung direkt nach Bern (oder Paris) geleitet wurden, ohne den Umweg über London, der für die USA-Post unumgänglich war. Die Stationen dieser diplomatischen Schweizer Sonderpost werden einem erst klar, wenn man weiss, dass der preussische Gesandte für die Schweiz, General von Röder, daran teilnahm.

Dr. Kern mag die Verbindung schon am 30. September benutzt haben, als er den Bundesrat über das Schicksal der Badenser und Bayern in Paris unterrichtete. Sein diesbezüglicher Bericht war ein umfangreiches Schreiben, viel zu schwer für die Ballonpost, die nur Briefe zu 4 g annahm. Das Dokument könnte einem Balloninsassen anvertraut worden sein, entweder durch Kern selbst oder, dank seiner Beziehungen, durch das französische Aussenministerium; möglicherweise nahm es ein ausreisender Diplomat mit. Auf jeden Fall kam es erst am 16. November in Bern an, also wohl kaum per Ballon.

Am 8. Oktober schrieb Kern dem Bundespräsidenten, er könne notwendigerweise versuchen, Kern durch die freundliche Vermittlung von In(fanterie?) General Röder und des preussischen Hauptquartiers sowie mittels des französischen Aussenministeriums zu erreichen. Briefe sollten offen sein, damit sich beide Seiten vergewissern könnten, dass sie harmlos waren.

Am 4. November sandte Kern ein Dokument, jetzt N° 186 im Bundesarchiv, das dem Rat am 12. vorlag und worin der Auszug einer Reihe von Schweizern aus Paris erwähnt ist. Dazu passt das folgende mir kürzlich vom Auswärtigen Amt in Bonn zugestellte Schreiben:


N° 7. Versailles, den 12. November 1870. Eure Excellenz ersuche ich ganz ergebenst, das beiliegende Depeschen-Packet, welches mir von Herrn Kern für den Schweizerischen Bundesrath offen zugegangen ist, gefälligst an seine Adresse befördern und gleichzeitig bemerken zu wollen, dass einer bedeutenden Anzahl von Schweizern, deren Namen Herr Kern in zwei Verzeichnissen angegeben hat, die Erlaubniss ertheilt worden ist, Paris zu verlassen, dass aber neuere unerwartete Erfahrungen die Militär-Behörden bestimmt haben, diese Erlaubniss nicht mehr zu ertheilen und ich daher für's Erste ausser Stande sein würde, für Angehörige der Schweiz eine Ausnahme zu erwirken.

Sollte dieses, an den preussischen Gesandten in Bern gerichtete Schreiben noch gleichen Tages dort angekommen sein?

In einem Brief an Präsident Dubs erwähnte Kern, dass ihm Herr Roth am 20 November einen offiziellen Brief zusammen mit Privatbriefen geschickt habe, die ihn alle durch die freundliche Vermittlung von General de Röder am 2. Dezember erreicht hätten.

Einen Monat später, am 2. Januar 1871, richtete Kern die Bitte an von Bismarck, zwei Briefe an Dubs weiterzuleiten, einen betreffs der Wohnung und des Gebäudes der bayerischen Gesandtschaft in Paris, den anderen über die Hilfeleistung an arme Badenser und Bayern während der Belagerung von Paris. Gleichzeitig bat er von Bismarck um Übersendung persönlicher Briefe an Kern und Gesandtschaftsangestellte, die evtl. durch freundliche Vermittlung von General de Röder das preussische Hauptquartier erreicht hätten, wie das am 2. Dezember schon geschehen war. Seinem Bericht an Dubs darüber fügte Kern hinzu, es sei ihm lieb — falls General de Röder wieder so gewillt sei - wenn ihm Herr Roth, Sekretär des Schweizer Auswärtigen Amtes, ein kurzes Resümee aller Briefe senden wolle, die man bisher an Kern über London (also durch die amerikanische Botschaft dort) gesandt habe, egal, ob für Kern oder andere Schweizer in Paris bestimmt. Die Briefpost von Washburne war nämlich zeitweilig ins Stocken gekommen.

Dass dieser Wunsch bewilligt wurde, geht aus Dokument N° 10 (von Bonn) hervor:



N° 10. Versailles, den 7. Januar 1871. Eure Excellenz erhalten beifolgend, behufs gefälliger Weiterbeförderung ein Schreiben des eidgenössischen Gesandten in Paris an den Schweizer Bundesrat h. Den Angehörigen des Herrn Kern wollen Sie gelegentlich mittheilen, dass Privatschreiben an denselben, ebenso wie bisher nach Möglichkeit befördert werden

Kern bemerkt dann in einem Brief vom 21. Januar 1871, dass er tatsächlich einen auf den 13. datierten Brief des neuen Bundespräsidenten Schenk mit Beilagen erhalten habe. (Ein Brief vom 13. konnte nicht in die Londoner U.S.-Tasche gleichen Tages gelangen; die nächste aber kam erst am 27. an, also nach Kerns Brief vom 21.)

Am 23. sandte Kern einen Brief nach Bern durch von Bismarck, wahrscheinlich den letzten Brief auf diesem Weg, denn die Belagerung endete am 28

Die Sonderpostetappen sind nun aufgeklärt. Wollte z.B. der Bundespräsident eine Nachricht an Dr. Kern schicken, so konnte er das entweder durch die amerikanische Botschaft in London tun (wahrscheinlich durch sein Auswärtiges Amt und die U.S. Botschaft in Bern), von wo die versiegelte diplomatische Tasche etwa einmal pro Woche auf bekannte Weise nach Paris kam; oder er konnte seinen Brief wie folgt senden: Das Schreiben ging an Major Roth, den Sekretär des Schweizer Auswärtigen Amtes. Er liess es General von Röder in der preussischen Gesandtschaft aushändigen. Der General schickte es durch einen Kurier ins preussische Hauptquartier. Dort überliess von Bismarck es einem seiner Sekretäre, Grafen Paul von Hatzfeldt, der es einem Parlamentär anvertraute. So wurde es an die Sevre-Brücke gebracht, wo ein französischer Parlamentär die Seine per Boot überquerte (die Brücke war gesprengt), um das Schreiben zu empfangen und es dem französischen Auswärtigen Amte zuzustellen. 

Von da endlich liess Jules Favre es der Schweizer Gesandtschaft zukommen. Umgekehrt diente die gleiche Kette der Beförderung von Post aus Paris nach Bern.

Derartige Briefe tragen natürlich keine Marken und keinerlei Poststempel oder -vermerke, da sie nie von einer normalen Post behandelt wurden. Wenn es noch Privatbriefe dieser Art gibt, was durchaus möglich ist, dann kann man sie nur an den Namen der Korrespondenten und vielleicht auch an den Daten und am Inhalt als solche erkennen.

Diese, bis vor kurzem total unbekannte und erst jetzt voll durchschaute Sonderpostroute, die von nur wenigen Personen und dann ganz selten benutzt wurde, beweist wiederum, wie reich an unbekannter Postgeschichte der 1870er Krieg ist. Die sensationelle Ballon- und Brieftaubenpost des belagerten Paris hatte ein Jahrhundert lang andere Postbeförderungsmethoden für Paris, ebenso französische BeAchtun g Index ! Siehe Hinweis auf Seite 14 lagerungspost anderer Festen, fast vollkommen aus dem philatelistischen Bewusstsein verdrängt.

Ich danke Herrn Raymond Pittier für die Überlassung von Charles Staehling's "La mission suisse ä Strasbourg pendant le bombardement en septembre 1870", Paris 1895?, wo ich die Erklärung der Identität des Generals "de" Röder fand; weiter danke ich Herrn Dr. Pretsch vom Auswärtigen Amt in Bonn, der mir freundlicherweise Kopien der beiden hier zitierten und reproduzierten Schreiben sandte, der einzigen Post zwischen Bern und dem Hauptquartier Versailles, die noch dort vorhanden ist.

E.M. Cohn, "Die Post von Dr. Johann Konrad Kern im belagerten Paris", SBZ 90 N° 12 (Dez. '77) 377 - 80; 91 N° 2 (Feb.'78)49-51.

Achtun g Index ! Siehe Hinweis auf Seite 14


Stempel "Deboun. .. Transit suisse" auf Ganzsachenumschlag Thurnu. Taxis 9Kr. 1862 nach Milano


Oben oder Rückseite des auf der Titelseite abgebildeten Ganzsachenumschlages Thurn u. Taxis 9Kr.

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