Abnormitäten bei Tübli-Briefen (II)

6. Fehler bei der Herstellung des Wertstempels
Wahrscheinlich haben alle Leser dieses Artikels schon auf dieses Kapitel gewartet. Jeder Tübli-Brief-Sammler weiss, dass die grösste Aussagekraft vom Wertstempel ausgeht. Dieses Gebiet ist äusserst vielfältig, denkt man nur an die verschobenen, verschiedenfarbigen oder nur geprägten Wertstempel. Obwohl andere Fehler im Produktionsablauf, die bereits vorhin beschrieben wurden, philatelistisch mindestens ebenso interessant sind, gelingt es doch mit dem Wertstempel - vielleicht gerade deshalb, weil er farbig ist - den grössten Effekt zu erzielen.
Versuchen wir gemeinsam ein System in das reichhaltige Angebot der Fehler zu bringen:
6.1 Fehler 1.Grades: Darunter verstehen wir Abarten, die nur einen Fehler im Produktionsablaufbedingen.
6.2 Fehler 2. Grades: Hierunter verstehen wir Fehler, die bereits einen Fehler voraussetzen.
6.3 Fehler3. Grades: Diese Fehler sind zwangsläufig die seltensten und bedingen zwei Fehler, die vorher gemacht und vom Arbeiter als solche erkannt wurden.
Um alle diese Fehler zu verstehen, müssen wir uns vorerst genauer mit dem Produktionsablauf beschäftigen:
Der Arbeiter schob den Rohling in die Prägepresse. Auf der Unterseite befand sich die Patrize, welche farblos war, darüber die Matrize, auf welche die jeweilige Farbe mittels Bürste aufgetragen wurde. Auf der hinteren Seite der Maschine war ein einfacher Anschlag, bis zu dem der Arbeiter den Rohling einschob. Weil keine derartige Maschine erhalten geblieben ist, wissen wir heute nicht, ob die Auslösung für das Absenken der Matrize automatisch oder von Hand erfolgte. Es gibt allerdings Hinweise dafür, dass bei den ersten Umschlägen die Auslösung der Matrize von Hand und bei späteren Ausgaben automatisch erfolgte (sprich: vom Arbeiter nicht zu beeinflussen war).

Abbildung zu Punkt 6.1.1 Tübli-Brief Z 5 mit einem 27 mm von der Briefoberkante angeordneten Wert Stempel. Die Normalposition beträgt ca. 8 mm. Verschiebungen von 5 mm in jede Richtung werden noch als normal angesehen.

Abbildung zu Punkt 6.1.1 Ganzsache Z 16 (Kontrollzeichen 5) mit nach rechts verschobenem Wertstempel. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass links vom Wertstempel das Ergänzungsporto für einen Inlandsbrief geklebt wurde.

6.1 Fehler 1. Grades 6.1.1 Verschobene Wertstempel
Durch den Anschlag auf der Rückseite der Maschine war von vornherein jeder Wertstempel genau positioniert. Wenn der Arbeiter den Rohling zu weit nach rechts schob, entstand ein nach links verschobener Wertstempel, wenn er die Maschine so zeitig auslöste, dass der Rohling den Anschlag noch gar nicht erreichte, entstand ein nach oben verschobener Wertstempel. Die anderen zwei Richtungen ergeben sich folgerichtig umgekehrt.

6.1.2 Schräge Wert Stempel
Sie ergaben sich zwangsläufig dadurch, dass der Arbeiter den Rohling schräg gegen den Anschlag hielt und dann den Prägevorgang auslöste.

6.1.3 Wertstempel, auf denen senkrechte Schraffen sichtbar sind.
Die Farbe wurde mittels Bürste aufgetragen. Waren diese Bürsten neu und somit noch nicht so elastisch, um die Patrize vollkommen mit Farbe zu bedecken, dann konnte es vorkommen, dass Wertstempel mit senkrechten Schraffen entstanden. Bis zu den Ausgaben des Jahres 1877 existieren von fast allen Briefen derartige Abarten.

Abbildung zu Punkt 6. L 2 Ungebrauchter Umschlag Z 19 mit etwas nach unten verschobenem, jedoch schräg angeordnetem Wertstempel.

Abbildung zu Punkt 6.1.3 Auf dem Tübli-Brief Z 9 sind am Wertstempel senkrechte Schroffen sichtbar, die vom Farbauftrag mit der Bürste stammen.

6.1.4 Wertstempel mit einem schwach sichtbaren zweiten Teil eines Wertstempels.
Diese Druckabarten kommen relativ häufig vor und dürfen nicht mit einem Doppeldruck verwechselt werden. Entstanden sind sie dadurch, dass der Arbeiter den soeben frisch geprägten Rohling mehr oder weniger stark aus der Presse riss und damit noch einmal die farbige Matrize berührte. Dadurch ist seitlich vom Wertstempel ein farbiges Oval sichtbar.
Die Seltenheit würde ich folgendermassen einteilen: 5 Tübli - selten 10 Tübli — häufig 25 Tübli - selten 30 Tübli - sehr selten. Eine Klassifizierung für jede einzelne Katalognummer erübrigt sich.

6.1.5 Abklatsche
Abklatsche sind unpopulär, weil man sie nicht zeigen kann, oder nur dann, wenn man den Brief aufschneidet. Generell kann festgestellt werden, dass Abklatsche nicht selten sind, es sei denn, es handelt sich um die Nr. 7 und 11. Von allen anderen Umschlägen sind sie in der Regel von ganz hell bis ganz dunkel vorhanden. Vor allem von den späteren Ausgaben existieren Umschläge, die häufiger mit Abklatsch als ohne vorkommen.

Abbildungen zu Punkt 6.1.4 Beim Herausnehmen des Rohlings aus der Monogrammpresse passierte es, dass das Papier noch einmal die Matrize berührte und dadurch Farbflecke entstanden. Die Abbildungen zeigen Umschläge Zumstein Nr. 20 und Zumstein Nr. 22.

Abbildung zu Punkt 6.1.5 Gebrauchter Umschlag Nr. 28 mit Abklatsch und deutlichen Wischspuren (rot).