Österreich-Ungarn 1867 - historische Fakten

Mit nachfolgender Darstellung soll eine bezügliche Diskussion nicht neu aufgenommen werden, dies umsoweniger als ich aus Gesprächen mit massgeblichen ungarischen Funktionären weiss, dass man auch dort eine weitere Ausuferung nicht anstrebt, sondern vielmehr die Meinung teilt, allfällige Unklarheiten durch Historiker abklären zu lassen und nicht durch Philatelisten. Sieht man die posthistorischen Momente im Rahmen des sogenannten Ausgleiches von 1867 an, so stellen sich diese als eine Gegebenheit dar, die man weder wegstellen noch manipulieren kann. Von welcher Seite man also auch immer die Entwicklung im postalischen Geschehen innerhalb der Monarchie von damals betrachtet, wird man stets auf unverrückbare Tatsachen stossen, um welche sich die Geschehnisse des Jahres 1867, unmittelbar aber auch der Folgeentwicklung bis zum Ende der Monarchie 1918 in weiterer Sicht gruppieren. Da nun in der Schriftleitung der "POSTGESCHICHTE" Meinungsäusserungen zum Thema der Ausgabe 1867 und den Vorgängen rund um diese vorliegen, die eine redaktionelle Befassung noch nicht erfuhren, versuche ich mit nachfolgender Aufgliederung massgeblicher historischer Fakten eine Klarstellung zu geben.
Das mit kaiserlicher Genehmigung vom 21. April 1867 in Rechtskraft getretene "Provisorische Übereinkommen" legte die Verwaltungsteilung innerhalb der Monarchie fest, wonach für die ungarische Reichshälfte die Postverwaltung ab dem 1. Mai 1867 vom königl. ungar. Ministerium für Ackerbau, Industrie und Handel zu übernehmen war, während jene für die Österreich. Reichshälfte beim k.k. Handelsministerium in Wien verblieb. Regional verstand sich diese Verwaltungsteilung wie folgt: zur ungarischen Verwaltung kamen.
ab 1. Mai 1867: Ungarn und Siebenbürgen
ab 1. April 1868: Kroatien und Slavonien (bis dahin von Wien verwaltet) ab 1. Jänner 1871: Militärgrenze (bis dahin vom Reichskriegsministerium verwaltet).
Dieses provisorische Übereinkommen hielt gleichermassen wie das per Ende März 1868 unterfertigte definitive Übereinkommen fest, dass Postgesetz (seit 1. Juli 1838 in Geltung) und daraus resultierende Postordnung sowie Taxordnung reichseinheitlich zu verbleiben haben (Art. 3/Prov. Übereinkommen bzw. Art.I/ def. Übereinkommen); Änderungen dieser reichseinheitlichen Gesetzeslage oder der Post- samt Taxordnung sollte gemeinsamen Entscheidungen vorbehalten bleiben. Dies heisst, dass keine der beiden regionalen Verwaltungen für sich Gesetzeshoheit hatte und so war es auch bis 1918 geblieben. Wir müssen sonach sehr sorgfältig mit dem Begriff "Souveränität" umgehen und dürfen diesen nicht mit den postalischen Gegebenheiten in einer der beiden Reichshälften in Beziehung setzen; Souverenität setzt nämlich volle Gesetzesfähigkeit voraus, das heisst die Ordnung aller hoheitsrechtlichen Belange ohne Einflussnahme von aussen. Mit dieser in jedem Lexikon nachlesbaren Definition ist klargestellt, dass wir in der Monarchie nicht zwei souveräne Postverwaltungen hatten, sondern lediglich zwei weitgehend autonome Regionalverwaltungen, die beide nach Gesetz, Post- und Taxordnung auf reichseinheitlichem Fundament standen.
Der reichseinheitliche Charakter des Postwesens kommt auch noch dadurch zum Ausdruck, dass nach den Artikeln 3 und 5 des provisorischen Übereinkommens, es findet diese Gegebenheit auch im definitiven Übereinkommen neuerlich Niederschlag, die Vertretung dem Auslande gegenüber — was sowohl hinsichtlich der Postverträge als auch der Abwicklung der Auslandspost zu verstehen ist — einheitlich verblieb und vom k.k. Handelsministerium in Wien wahrgenommen werden musste. Hinsichtlich der Auslandspost (Gebührenfragen) gab es interne Verrechnungsabsprachen, eine bis 1908 beharrende Situation; erst dann wurden Regelungen getroffen, welche auch die Abwicklung von Auslandspost der ungarischen Verwaltung unmittelbar ermöglichten.
Innerhalb der gemeinsamen Gesetzeslage waren beide Verwaltungen hinsichtlich der Administration jedoch völlig autonom und wirtschafteten eigenständig, wenn man von der Funktion des, wieder reichseinheitlichen, k.k. Obersten Rechnungshofes absieht, welcher das Postgefälle 1867 in einem Budgetposten (nicht nach den Verwaltungsgebieten der beiden Postverwaltungen getrennt) zusammenfasste (laut Art. 13 des prov. Übereinkommens). So war die ungarische Postverwaltung ab dem 1. Mai 1867 unter anderem auch bezüglich der internen Postgebühreneinnahmen eigenständig, was besagt, dass die Gebühreneinnahmen ausschliesslich von der neuen Verwaltung eingenommen wurden, diese dafür aber auch andererseits für alle Verwaltungskosten intern aufzukommen hatte. Unter diesen Aspekten war der Wunsch nach separaten, optisch erkennbaren, Postwertzeichen verständlich; ein Wunsch, der auch gewisse nationale Hintergründe gehabt hatte. Tatsächlich war ein derartiger Wunsch 1867, wie das Ergebnis beweist, noch nicht realisierbar gewesen. Nach einer Beratung im ungarischen Ministerrat war ungarischerseits "von der früher beabsichtigten Einführung eigener Briefmarken für Ungarn Umgang (= Abstand) genommen worden" (Sitzungsbericht des Sektionsrat Kolbensteiner v. 31. März 1867). Nach jener Entscheidung konnte das prov. Übereinkommen in dieser Hinsicht fertiggestellt werden und resultierte die Situation in dessen Artikel 15, wonach ab dem 1. Juni 1867 neue Postwertzeichen in Anwendung kommen sollten und zwar im Gebiete "sowohl der österreichischen als der ungarischen Postverwaltung". Im Artikel 15 findet sich weiters festgehalten, dass das k.k. Handelsministerium in Wien für die Herstellung zu sorgen habe und zwar für beide Verwaltungsbereiche. Wir haben es demnach, historisch nüchtern gesehen, mit einer Emission zu tun, welche seitens des k.k. Handelsministeriums bei der Österreichischen Staatsdruckerei in Wien in Auftrag gegeben worden war und ausschliesslich zwischen diesen beiden Partnern geschäftsmässig abgewickelt wurde. Dieser Geschäftsvorgang ist dokumentarisch belegt, daneben hat Wien mit Budapest jedoch Kontakte gehalten, um eine Übereinstimmung hinsichtlich der Markengestaltung in kollegialer Weise zu wahren. Die Postwertzeichen wurden also nicht nach getrennten Bestellungen der beiden Postverwaltungen angefertigt und geliefert — was man immer wieder irrtümlich bei ungarischen philatelistischen Autoren zu lesen bekommt — sondern ausschliesslich einheitlich auf Basis der Geschäftsvorgänge zwischen k.k. Handelsministerium und Staatsdruckerei. Daraus versteht sich weiterhin auch der Auslieferungsmodus, welcher zunächst nach herkömmlicher Weise durch die Postökonomieverwaltung in Wien beibehalten worden war: man belieferte alle Postdirektionen auf Basis deren Anforderungen direkt und zwar auch jene, die nunmehr seit dem 1. Mai 1867 der ungarischen Postverwaltung zugeordnet waren. Erst mit einem Schreiben vom 14. August 1867 teilte das zuständige ungarische Ministerium nach Wien mit, dass nunmehr die Postdirektionskasse der Postdirektion Pest als Zentralstelle für die Fassung der ungarischen Direktionen ausgebaut sei und die Postwertzeichenfassung bei der Postökonomieverwaltung in Wien hinkünftig zentral für die ungarische Postverwaltung erfolgen würde. Eine graduelle Verwaltungsänderung, die am Status der Wiener Postökonomieverwaltung als Lieferstelle für die Gesamtmonarchie, nach jeweiligem Bedarf, nichts geändert hat. Allein dieser Umstand hat es dann auch nach Einführung separater ungarischer Marken 1871 ermöglicht, Restbestände aus dem ungarischen Verwaltungsbereich nach Wien rückzuverrechnen. Die gelieferten Postwertzeichen waren seitens der ungarischen Verwaltung jeweils an das k.k. Handelsministerium in Wien bezahlt worden (Gestehungskosten + Aufgeld für Verwaltungsaufwand), zumal ja die Einnahmen im Wege des Postwertzeichenverkaufes bei der ungarischen Verwaltung verblieben. Die Ausgabe 1867 ist also eindeutig die erste Emission, welche seitens der ungarischen Verwaltung eigenständig administriert wurde, sie ist jedoch nach Vertragslage (prov. Übereinkommen) und Herkunft (im Wege k.k. Handelsministerium) nicht als eigene ungarische Ausgabe anzusprechen. Im Spiegel historischer Betrachtung handelt es sich hier um eine einheitliche Emission für den Gesamtbereich Österreich-Ungarns und ist dieserart als einzige österreichisch-ungarische Emission zu sehen (vorher waren es nur kaiserlich österreichische und nachher getrennte österreichische und ungarische Postwertzeichen); in ungarischer Sicht mag diese Situation als eine nur provisorische angesehen werden.
Insgesamt haben wir es mit einem fliessenden Übergang zur neuen innerstaatlichen Situation der Monarchie im Jahre 1867 zu tun, was sowohl in der regionalen Situation 1867 bis 1871 deutlich wird, ebenso wie in den Übergängen postalischer Verwaltung einschliesslich der Postwertzeichen. Analog fliessend war dann natürlich auch der Übergang im Abstempelungssektor, denn nicht abrupte Änderungen vollzogen sich hier, sondern sukzessive. Der 1. Mai 1867 ist für den Abstempelungssammler ein Übergangsdatum: so wie der Sammler der altösterreichischen Periode der Ausgaben 1850 bis 1863/64 einen Überlappungszeitraum bis 15. Juni 1867 nicht ausser Acht lassen sollte, wird ein Sammler, der mit 1. Mai 1867, also mit der ungarischen Postverwaltung startet, ein Zeitbild von der Startsituation brauchen und daher ein wenig in die Wochen vor dem 1. Mai zu sehen haben. Wer strenge Abgrenzungen vorzieht, also bis 30. April beziehungsweise ab 1. Mai 1867 arbeitet, wird gelegentlich Probleme hinsichtlich der fliessenden Übergänge haben, er wird also gewisse Kompromisse bezüglich der Zeitabgrenzung nicht vermeiden können.
Lässt man den gesamten posthistorischen Prozess in der Monarchie beginnend mit dem 1. Mai 1867 Revue passieren, bleiben die aufgezeigten historischen Fakten, welche postalische Einheit über alle dualistischen Verwaltungsteüungen hinweg bis zum Monarchieende 1918 markieren. Es ist selbstverständlich, dass nach je weiliger individueller Sicht ein derartiger historischer Ablauf unterschiedlich interpretiert werden kann: einerseits mag man die Faktoren der Einheit betonen, andererseits jene der Trennung auf einem Weg zu schliesslicher Auflösung aller Gemeinsamkeiten. Solche Gesichtspunkte werden stets unterschiedliche Auslegungen zur Folge haben, sie sollten jedoch niemals an den historischen Fakten vorbeisehen, um ein Abtriften in die Polemik zu vermeiden.