Deutsche Handschrift

Praktisch vor unseren Augen verschwindet das Wissen um eine Schrift. Deutsche Handschrift, die auch in der Schweiz erst noch gang und gäbe war, kann heute schon fast niemand mehr lesen. Ein Verlust für alle, die sich mit alten Briefen, Ansichtskarten und anderen handschriftlichen Dokumenten gerne näher befassen würden. Denn mitunter verbergen sich hinter den zackigen Schriftzügen Geschichten, welche die Mühe des Enträtseins mehr als lohnen. Hier ein paar Hilfen, mit denen Sie lernen können, alte Handschriften zu entziffern.

Die alten Schnörkel noch…..
Georg Gubler und Peter Schuppisser*
(Aus dem Magazin "Sammeln" Nr. 10 vom Oktober 1985; mit freundlicher Genehmigung des Verlages.)

Wer heute jemanden sucht, der ihm beim Enträtseln eines alten Schriftstücks, das in deutscher Handschrift geschrieben ist, helfen könnte, wird es nicht sehr leicht haben. Dabei ist es gar nicht so lange her, seit an Deutschschweizer Schulen ABCSchützen noch die zackige deutsche Handschrift büffeln mussten.
Innert weniger Jahrzehnte ist uns aber die Handschrift unserer nächsten Vorfahren fremd geworden. Zu vielem Geschriebenen, selbst aus jüngster Zeit, finden wir keinen Zugang mehr. Es fehlt der Schlüssel, ein Alphabet der deutschen Handschrift. Briefe, Akten, Lebenserinnerungen oder Rückseiten von Ansichtskarten bleiben ungenutzte und verlorene Schätze: Das Entziffern ist für viele zu mühsam geworden.

Woher die deutsche Handschrift kam und wie sie verschwand
Unsere Handschrift hat sich im Lauf von zwei Jahrtausenden aus der griechischen und römischen Lapidar-(Stein-) Schrift über die römische Kapitalschrift zur Unzialschrift, zur Halbunzialen und den schräg geschriebenen karolingischen Minuskeln, von da an zu landschaftlich getrennten Antiqua-(Latein-) und gotischen sowie Fraktur- (gebrochenen) Formen entwickelt. Seit dem 17. Jahrhundert liefen nun je nach Gegend nebeneinander die lateinische Currentschrift und die deutsche Handschrift in mannigfachen Ausformungen, je nach Behörden oder Schulkommissions-Entscheiden.

*Georg Gubler, ehemals Lehrer an der Kunstgewerbeschule Zürich, hat mit seinem Wissen, mit Textbeiträgen und Schriftbeispielen diesen Artikel möglich gemacht. Peter Schuppisser ist Chefredaktor des Magazins "Sammeln".

Nach langem Wechsel der Schreibwerkzeuge - Meissel, Rohrfeder, Pinsel — siegte für zwei Jahrhunderte die Stahlfeder.
In der Schweiz war es nur natürlich, dass in den französisch- und italienischsprachigen Kantonen die lateinische Schreibschrift verwendet wurde. Die deutschsprachigen Gebiete unterrichteten ganz verschieden. 1926 waren es noch 9 Kantone, vor allem in der Innerschweiz, die bis zur 5. Klasse deutsche Handschrift lehrten. In der 5. Klasse kam dann die lateinische Schrift dazu. So behielten auch später viele Schüler die ihnen geläufigere deutsche Schreibschrift bei. Eine kleine Besonderheit: Noch 1970 war das Lesen alter deutscher Handschrift offizielles Prüfungsfach an der Berufsschule für Schriftsetzer in Zürich. Die politischen Ereignisse der dreissiger Jahre versetzten der deutschen Schulschrift dann den Todesstoss. Nach dem Krieg waren auch die Zeitungen gezwungen — viele unter lebhaftem Bedauern — , die alte Frakturschrift aufzugeben: Die Fabriken für Setzmaschinen-Matrizen erholten sich nicht mehr von den Bombenschäden.

Schriftprobe aus der 42 zeiligen Bibel von Johannes Gutenberg

Die eckige Frakturschrift bot etliche Schwierigkeiten, in die flüssige Form einer Handschrift überzugehen.

Das ABC der deutschen Handschrift



Charakteristische Eigenschaften
Auffallendstes Merkmal der deutschen Handschrift ist sicher das zackige Auf und Ab der Linienführung. Die Buchstaben e, n, m und u unterscheiden sich auf den ersten Blick nur minim, etwa durch den etwas höher angesetzten Verbindungsstrich beim e oder durch das kleine Häkchen auf dem u. Mit diesem u-Zeichen nicht zu verwechseln ist der gerade Querstrich über den Buchstaben n oder m, der in vielen Handschriften verwendet wird. Dieses Kürzungszeichen wird immer dann gesetzt, wenn an Stelle von zwei gleichen Buchstaben nur einer geschrieben wird.
Im Gegensatz zu den Kleinbuchstaben, die wirklich zackig an die gedruckte Frakturschrift erinnern, wurden die meisten Grossbuchstaben mit kräftigem rundem Schwung hingelegt. Viele davon unterscheiden sich grundlegend von den Grossbuchstaben, wie wir sie in der heute üblichen Handschrift verwenden. Oft schwierig zu lesen sind sicher die Lettern B, C, D, E, H, K, S und Y. Besonders über K und R, die sich sehr ähnlich sehen, stolpert man immer wieder.
Kunde
Romantik

Der folgende, in schönster Schulschrift geschriebene Text von Hermann Hesse ist gerade richtig, um mit der Materie vertraut zu werden. Wenn Sie das umstehend abgedruckte ABC zu Hilfe nehmen, wird Ihnen das anfänglich vielleicht noch mühsame Lesen immer leichter fallen und zunehmend Spass bereiten.

(Handschrift von einem Prüfungsblatt, wie ei noch öz's etwa 1970 an der Zürcher Kunstgewerbeschule verwendet wurde)

Bei den Kleinbuchstaben sind es a, d, p, r, das schon erwähnte e und ganz besonders h, k und die verschiedenen s, die immer wieder Schwierigkeiten bereiten.
sass
wohlbekannten
später
sehen
kurz
erschienen

Die S-Regeln
Kurz zusammengefasst, steht das lange s (Lang-s) immer am Wort- oder Silbenanfang, das kleine runde s (Schluss-s) am Wortschluss, auch in zusammengesetzten Wörtern
ß  (Scharf-ess) steht immer am Wortschluss anstelle von ss. Im Wortinnern nach einer Dehnung oder vor Konsonanten (Mitlauten): müßig, faßt, wäßrig. Das lange Doppel-s wird verwendet zwischen zwei Selbstlauten, von denen der erste kurz ist: Flüsse; auch in Fällen wie: ich lass.

Literaturvermerk:
Für einige Beispiele dieses Artikels wurde auf ein seltenes, nie auszuschöpfendes Werk zurückgegriffen:

Karl Faulmann. Illustrierte Geschichte der Schrift.
Populär-wissenschaftliche Darstellung der Entstehung der Schrift, der Sprache und der Zahlen sowie der Schriftsysteme aller Völker der Erde

Wien, Pest, Leipzig. A. Hartlebens Verlag, 1880.