A propos Altschweiz: Das rätselhafte Kursiv-«S» bei der Neuenburg
Erfahrene Philatelisten schrieben z.B.: "Die Gründe, welche die Postverwaltung in Genf veranlasst haben, im Sommer 1851 eine andere 5-Centimes-Marke auszugeben, sind unbekannt. ." (AIEP 1980, S. 14). Oder, wie sich George Fulpius in "La Poste ä Geneve" (S. 64) ausdrückt (übersetzt): "Den Genfern passten die 21/2-Rp-Marken aus Bern nicht, da diese eine andere, nicht genferische Währung aufwiesen. Die Genfer Postdirektion beauftragte deshalb Schmid, eine neue Marke zu drucken, welche wie die von Durheim (Bern) aussehen sollte, und dies im August 1851. So erklären wir die Ursache für die sog. Neuenburg".
Nein, abermals nein. Der Grund für die Ausgabe der Neuenburg muss währungstechnisch erklärt werden. In der damaligen Schweiz bestanden "mindestens 6- bis 7erlei Rechnungsmünzen und eine noch viel grössere Anzahl Währungen, nach welchen das Geld gleichen Namens an einem Orte nicht das Nämliche bedeutet, wie am ändern . ." oder "im Münzwesen soll die babylonische Verwirrung . . aufhören" (Bundesblatt 1849, S. 32; 1849, S. 43). Die Bundesversammlung erliess am 7. Mai 1850 das Gesetz "über das Eidg. Münzwesen", welches in Art. 2 bestimmte: "Der Franken teilt sich in hundert (100) Rappen (Centimes)". Dieses Gesetz trat auf 1. Jan. 1852 in Kraft. Bis zu diesem Zeitpunkte mussten die verschiedenen kantonalen Währungen der neuen einheitlichen Schweizer-Währung angepasst werden, bzw. die kantonalen Münzen wurden eingezogen, gegen die Schweiz. Rappen oder Centimes-Münzen nach einem gewissen Tarif eingelöst, eingetauscht. Der Bundesrat verordnete am 11. März 1851 u.a. "Mit dem Beginn des Einlösungstermins tritt für den betr. Kanton der neue Schweiz. Münzfuss in Kraft." (Bundesblatt 1851/14). Ferner am 23. Aug. 1851: "Der Termin für die Einlösung der alten Münzen" beginnt in den Kantonen Waadt und Genf am "1. August" (Bundesblatt 1851/47). Und damit kann das Rätsel vom kursiven "Schluss"-s auf der Neuenburg gelöst und auch der einzig wahre Grund zur Ausgabe dieser Marke erklärt werden.
Die eidgenössische Kreispostdirektion Genf, zuständig für den Kanton Genf und den waadtländischen Bezirk Nyon, hatte durch das Bundesblatt 1851/18 Kenntnis, dass auf obgenannten 1. Aug. 1851 hin die genferischen Centimes-Münzen zu 25, 10, 5, 4, 2 und l "nach Nennwerth" eingelöst wurden, d.h. 5 kantonale GenferCentimes entsprachen nun 5 Rappen oder 5 Centimes der neuen, in der ganzen Schweiz gültigen Währung. Auch die waadtländischen Kantonal-Münzen wurden ab 1. Aug. 1851 eingelöst, allerdings nicht zum Nennwerth, wie die GenferCentimes. Bereits das am 7. Mai 1850 erlassene Münzgesetz stellte klar und unzweideutig die Gleichwertung von Rappen und Centimes fest.
Somit bedeutet die Inschrift "5 Centimes" auf der Neuenburg-Marke nicht 5 Centimes der ab 1. Aug. 1851 überholten Genfer Kantonal-Währung, sondern 5 Centimes der neuen Schweizer-Währung. Und damit darf das absichtlich kursiv gezeichnete Plural-"s" auch als "suisses" gedeutet werden: 5 Centime (suisses). C.A. Schmid war ein zu erfahrener Lithograph und Drucker und hat bestimmt nicht aus Zerstreutheit ein kursives "s" geschaffen. Nein, er wollte damit ausdrücklich anzeigen, dass nun auch im Postkreis Genf die "Suisse"-Währung allein Gültigkeit hatte. Zudem sei vermerkt, dass die Kreispostdirektion Genf anfangs Febr. 1851 in Bern eidgenössische Marken zu 2l/2 Rappen oder Centimes anforderte, weil damals die sog. "Waadt 5" aufgebraucht war, oder der Vorrat zu Ende ging und die Neuenburg noch nicht beim Drucker Schmid bestellt war.
Ist nun der Grund zur Ausgabe der Neuenburg klargestellt und das kursive "s" erklärt?