Flugpost aus Liechtenstein im zweiten Weltkrieg nach Amerika (X)
Der in Abb. 30 gezeigte Einschreibebrief wurde in Vaduz am 11.IX. 1943 auf der gleichen Strecke befördert. Er zeigt rückseitig neben deutschen und englischen Zensurstreifen einen wohl von der deutschen Zensur vorgenommenen chemischen Abstrich (Behandlung mit einer chemischen Substanz zur Feststellung von Geheimtinte) und Transitstempel von New York vom 21., 22. und 27. Oktober 1943. Hier "arbeitete" die amerikanische "Inspektion" in New York offenbar "schneller", als bei dem unter Abb. 29 beschriebenen Beleg.
Der mit Abb. 31 zu beschreibende Einschreibebrief wurde am 28.9.1943 in Vaduz aufgegeben und, wie vom Absender gewünscht, via Zürich mit der Swissair nach Stuttgart, dann nach deutscher Zensur in Berlin mit der Lufthansa nach Lissabon und von dort mit PAA via Bermuda ("IC") nach New York befördert. Der Briefumschlag erhielt vor- und rückseitig einen chemischen Abstrich von der deutschen Zensur.
Rückseitig trägt dieser Beleg 3 Stempel "NEW YORK / REG'Y.DIV" vom 1.11. 1943, sowie einen Stempel "FOREIGN" vom 6.11.1943, ferner einen Einschreibestempel Philadelphia vom 7.11.1943 und einen Paketstempel Philadelphia vom 8.11.1943. Inzwischen hatte sich die Postlaufzeit somit wieder auf knapp eineinhalb Monate bis zum Empfänger verkürzt.
Das Jahr 194 4 brachte den immer schnelleren Zusammenbruch der deutschen Front im Osten, und ab 6. Juni 1944 entstand neben der schon bestehenden zweiten Front in Italien mit der alliierten Landung in der Normandie noch eine dritte Front im Westen. Da Hitler's "Festung Europa" schon lange keine leistungsfähige Luftwaffe mehr besass und das deutsche Reichsgebiet permanenten Grossbombardements der alliierten Luftwaffen ausgesetzt war, wurde auch die Aufrechterhaltung eines geregelten Luftverkehrs immer schwieriger.
27. März 1944 ab Schaan, der via Basel 2 nach Berlin (deutsche Zensur) und mit Lufthansa und PAA-Clipper nach USA befördert wurde. Erstmals findet sich auf diesem Umschlag neben der deutschen die amerikanische Zensur mit einem transparenten Klebstoffstreifen "EXAMINED BY 5613", denn im März 1944 endete die britische Zensur in Westindien für Transitpost. Von Lissabon aus flog die PA A 1944 die Route FAM 18 bis Juni via Natal zweimal wöchentlich dienstags und samstags, danach ab Juli nur noch jeden zweiten Mittwoch via Horta (Azoren) nach New York. Ferner wurde bis Mai 1944 jeden zweiten Freitag die Route Lissabon-Bolama-Natal -Port of Spain -Miami nach New York beflogen, ab Juli 1944 bis zum Jahresende jeden zweiten Donnerstag.
Die Fluglinie der Swissair von Zürich nach Stuttgart musste am 16. August 1944 eingestellt werden. Da die italienischen Fluglinien bereits seit September 1943 ausser Betrieb waren und der Landweg zunehmend nicht mehr passierbar war - schon im April 1944 wurde teilweise der Postverkehr nach Frankreich eingestellt - blieb als Verbindung zu den Transatlantikflügen ab Lissabon nur noch der Flugverkehr der Deutschen Lufthansa ab Stuttgart, welcher bis Mai 1944 noch relativ regelmässig zweimal wöchentlich abgewickelt wurde. Ab Juni 1944 (Zeitpunkt der Invasion) wurde kein Flugplan mehr bekanntgegeben. Auf ausdrücklichen Wunsch des Absenders wurde noch Post für diese Linie entgegengenommen. Nachdem jedoch im August 1944 die Deutsche Wehrmacht nach dem Durchbruch amerikanischer Truppen bei Avranches (1.8.), der Kesselschlacht bei Falaise (16.8.) und der Landung alliierter Truppen in Südfrankreich (15.8.) ziemlich schnell das gesamte französische Staatsgebiet bis zum "Westwall" räumen musste, welcher ab 15. September 1944 auf der ganzen Länge zwischen Aachen und Luxemburg Front war, wurde das Überfliegen des französischen Luftraumes durch deutsche Flugzeuge in Richtung Spanien zu einem fast unlösbaren Problem. Im September/ Oktober 1944 musste diese Fluglinie dann endgültig aufgegeben werden.
Am 16. Oktober 1944 kündigte die Schweizer PTT eine Postverbindung mit Lastwagen von Genf durch Südfrankreich nach Port Bou (spanische Grenze) an, die jedoch bereits am 24.10.44 "wegen militärischer Schwierigkeiten" wieder eingestellt werden musste. Im Sommer und Herbst 1944 führte die einzige Verbindung nach neutralen Ländern via Berlin — Stockholm; es ist jedoch anzunehmen, dass Post in kriegführende Länder wie die USA nicht über diesen Weg geleitet werden konnte.
Als sich die politischen und militärischen Verhältnisse in Frankreich nach der "Liberation" genügend konsolidiert hatten, erschien am 16.12.1944 eine Sonderausgabe der PTT-Postverbindungen, worin angekündigt wurde, dass ab sofort Briefpostsendungen nach USA mit der Bahn über Lyon—Paris —Dieppe bzw. Cherbourg möglich seien.
Gegen Bezahlung der entsprechenden ZuSchlagtaxen (70 Rp. für 5 gr Gewicht) konnte ab London auch der Luftweg benutzt werden. Soweit aus den PTT-Mitteilungen ersichtlich ist, bestand dieser bis Kriegsende in der BOAC-Verbindung London nach Lissabon, welche werktags täglich beflogen wurde. Ab Lissabon flog die PAA vierzehntägig mittwochs (1945: Januar — Mai) die Strecke über Horta nach New York und ebenfalls vierzehntägig donnerstags auf der Südroute Bolama—Natal—Port of Spain—San JuanMiami nach New York.
Möglicherweise erfolgte der Luftposttransport ab England zum Ende des Krieges auch mit der BOAC-Linie Poole — Foynes — Botwood — Montreal — New York (Nord- oder Sommerroute), oder Foynes - Lissabon - Bathurst - Bolama - Port of Spain- Hamilton - Baltimore (Südoder Winterroute).
Abb. 33 zeigt einen kurz nach Wiederaufnahme des Postverkehrs am 30.12.1944 in Balzers mit Leitvermerk "Basel 2 — London" aufgegebenen Einschreibebrief, welcher laut erstem Transitstempel am 17.1.1945 in New York eintraf, wo er von der amerikanischen Zensur geöffnet und am 23.1.1945 erneut der Post in New York zum Weitertransport übergeben wurde. Mit dreieinhalb Wochen hatte sich die gesamte Postlaufzeit weiter verkürzt.
Als letzter Beleg schliesslich sei der in Abb. 34 gezeigte Einschreibebrief erwähnt, der am 16.4.1945 in Vaduz aufgegeben wurde und rückseitig die beiden Transitstempel New York, EinschreibeAbteilung vom 7. und 9. Mai 1945, sowie den Ankunftstempel Philadelphia vom 10. Mai 1945 aufweist.
6. Literaturnachweis und Schlussbetrachtung
Abschliessend sei erwähnt, dass die wichtigste Grundlage zu dieser Untersuchung in den offiziellen PTT-Mitteilungen der eidgenössischen Postverwaltung besteht, die Herr Roland F. Kohl, der dem Verfasser bei dieser Arbeit wertvolle Anregungen gab, für eine in der POSTGESCHICHTE im Erscheinen begriffene Übersicht über die Schweizer Flugposttaxen ausgewertet hat.
In der angelsächsischen Fachliteratur hat sich L.M.C. Dutton in den "Air Mail News" in drei Folgen mit der transatlantischen Flugpost im zweiten Weltkrieg befasst, worauf hier an verschiedenen Stellen Bezug genommen worden ist.
Die Anregung zu meiner Studie gab übrigens vor Jahren ein kurzer Aufsatz "Die Flugpostverbindungen mit dem Ausland während des zweiten Weltkrieges", welcher von Herrn Richard Wagner stammt und im November 1978 in der Kundenzeitschrift der Firma Marken-Müller AG "Die Basler Taube" veröffentlicht wurde.
Seit einer ersten Veröffentlichung dieser Studie im Katalog der Briefmarkenausstellung "LYMPURGA '83" erhielt der Verfasser noch eine Reihe wertvoller Erkenntnisse und Anregungen, für die er speziell den Herren Horst MesserSchmidt, Velbert (italienische LATI), sowie Horst Augustinovic, Hamilton/ Bermudas (Clipper-Verkehr und britische Zensur auf den Bermudas) zu grossem Dank verpflichtet ist.
Der besondere Reiz, sich mit dem gestellten Thema zu befassen, lag darin, dass es unter Ausnutzung der jeweils offenen oder verfügbaren Postwege fast während der ganzen Dauer des zweiten Weltkrieges gelang, Luftpost aus den neutralen Ländern Schweiz/Liechtenstein über die Fronten hinweg zum amerikanischen Kontinent zu bringen. Wegen der teils hohen Portosätze trifft man auf derartigen Belegen hohe und höchste Werte in portogerechter Verwendung, die sonst nur auf Wertbriefen und im Original nicht mehr erhaltenen Paketkarten denkbar wären.
Über die geschilderten philatelistischen Aspekte hinaus stellt diese Arbeit eine Art "Nachruf auf das Flugboot (Clipper)" dar, eines Flugzeugtyps, der nach dem Kriege praktisch aufgegeben wurde und demzufolge weitgehend in Vergessenheit geriet. - Während man für die Überwindung weiter Landstrecken Landflugzeuge gewählt hatte, die auf speziellen Flughäfen oder Pisten starten und landen konnten und demzufolge mit Rädern (Fahrwerk) an Rumpf bzw. Flügeln ausgerüstet waren, hatte man für die Überwindung der grossen Weltmeere Flugboote (Clipper) entwickelt, welche einen bootsförmigen Rumpf hatten mit Stützschwimmer am Rumpf oder an den Flügeln, wodurch Start und Landung nur im Wasser möglich waren. Man brauchte für diesen Typ Flugzeuge keine aufwendigen Flugplätze, sondern möglichst Seen, Meeresbuchten, oder ausgedehnte Hafenanlagen, in denen die Flugboote landen ("wassern") sowie starten konnten. Aus diesem Grunde treffen wir beim Clipperverkehr auch auf "Flughäfen" - Orte wie Foynes, Botwood, Shediac, Poole oder Bolama — die heute entweder völlig unbedeutend geworden oder ganz vergessen sind. Im Verlauf des zweiten Weltkrieges wurde die Konstruktion von Landflugzeugen soweit verbessert, dass diese nach 1945 auch in immer stärkerem Masse im transozeanischen Verkehr zum Einsatz kommen und die Flugboote allmählich völlig verdrängen konnten.
Das Gebiet der "fremden Zensuren" im zweiten Weltkrieg ist äusserst reizvoll. Aus der Sicht des Fürstentums Liechtenstein oder der Schweiz ist es aber leider bis heute überhaupt noch nicht behandelt worden. Dank der Mithilfe des Leiters der Arbeitsgemeinschaft Zensurpost im BDPh, Herrn Alfred Klabes, Delmenhorst, sowie von Herrn Horst Augustinovic, war es dem Verfasser möglich, die für diese Untersuchung wichtigen Zensurmerkmale zu identifizieren.
Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Postaufkommen aus Liechtenstein während des zweiten Weltkrieges nach dem amerikanischen Kontinent äusserst gering war. Während von der Schweiz aus allein im Jahre 1941 rund SOO'OOO Postsendungen via Clipperdienst Lissabon — New York vermittelt wurden, dürfte das entsprechende Postaufkommen aus Liechtenstein hievon nur in Promillen zu berechnen sein, wovon wiederum nur noch ein Bruchteil erhalten geblieben ist.
Schliesslich sollte mit dieser Darstellung gezeigt werden, dass nicht nur die überall katalogisierten Erst- und Sonderflüge sammelnswert sind, sondern dass auch — und gerade in den früheren Jahren — die Dokumentierung von bestehenden Fluglinien mit Bedarfsbelegen einen nicht zu unterschätzenden Reiz hat. Sowohl die Luftpost, als auch die Zensurpost beinhalten bedeutsame Kapitel der Postgeschichte.
(Ende der Artikelfolge)