Wo liegt Dorlikon?
Dorlikon lag bis zum 16. September 1878 im zürcherischen Weinland, im Bezirk Andelfingen, an der Bahnlinie WinterthurStammheim —Singen, südlich der weiten Thurebene. An jenem milden Spätsommertag beschloss der Kantonsrat des eidgenössischen Standes Zürich: "Der Gemeinde Dorlikon ist gestattet, sich künftig Thalheim an der Thur zu nennen". Postgeschichtlich bedeutet das für den Philatelisten, dass die Stempel "Dorlikon" vorerst Stabstempel in Elzevierschrift, dann Zweikreisstempel mit Datumbrücke und Schraffen — nur bis im September 1878 in Gebrauch waren und dann durch Zweikreisstempel "Thalheim a.d. Thur" mit Datumbrücke ersetzt wurden.
Was hatte denn die Gemeinde zu dieser tiefgreifenden Namensänderung veranlasst? Denn dieser Name war altverbürgt;
der Hof eines aus Norden eingewanderten Alemannen namens Torilo hiess "Torilinchova"; daraus wurde in einer Urkunde aus dem Jahre 1166 "Torlinchovin", schon 1251 "Torlicon" und über verschiedene unbedeutende Variationen seit dem 18. Jahrhundert "Dorlikon". An der sauberen geschichtlichen Überlieferung fehlte es somit sicher nicht.
Hingegen gab im letzten Jahrhundert der Name "Dorlikon" Anlass zu vielen Foppereien, Neckereien und Wortspielen mit "Tor" = dummer Mensch. Wer tatsächlich aus Dorlikon kam, musste besonders im angrenzenden Thurgau, aber auch selbst im Zürichbiet darunter leiden. Kein geringerer als Gottfried Keller schrieb in seiner Kalendergeschichte "Der Wahltag" folgendes: "Es wird in Torlikon ein Schaf ausgekegelt," sagte Heiri, der älteste,
Abb. 1: Nachnahme für 95 Rp von Dorlikon an die Staatskasse Zürich. Stabstempel der Postablage Dorlikon, Gruppe 30/D 48, daneben Zweikreisstempel der vorgesetzten Poststelle
Andelfingen vom 5 XI 72.
Abb. 2: Dorlikon (heute Thalheim an der Thur) auf der Wild'schen Karte von 1850
"und ich habe abgeredet, dabeizusein; es gibt einen grossen Wettkampf zwischen den Torli- und Narrlikonern."
Aber dann kam das Sängerfest von Winterthur vom 16. Juli 1877, an welchem Umzug die wackeren Mannen aus Dorlikon stolz mit entrollter Fahne mit eingesticktem Namen "Männerchor Dorlikon" teilnahmen und statt Applaus die ihnen nur allzu bekannten Sticheleien und dazu gehörendes Gelächter entgegennehmen mussten. Vier Tage später stellten sie schon den Antrag an die Gemeindeversammlung, den Dorfnamen "Dorlikon" zu ändern. Und die Gemeindeversammlung stimmte einstimmig zu, wählte rasch unter einer ganzen Anzahl von Vorschlägen (z.B. Thurfelden, Thurthal, Brunnendorf) den Namen "Thalheim" aus, und schon am 15. Oktober 1877, nur einen Monat nach dem belastenden Sängerfest, wurde das entsprechende Gesuch um Namensänderung dem Regierungsrat eingereicht. In der Begründung des Gemeinderates wurde übrigens betont, dass der neue Name Thalheim zu keinen Verwechslungen Anlass gebe, denn er komme in der Schweiz nirgends vor, worauf die Dorliker sich allerdings vom Regierungsrat belehren lassen mussten, dass immerhin im Nachbarkanton Aargau eine Gemeinde gleichen Namens bereits existiere! Aber auch der Bezirksrat Andelfingen beurteilte das Begehren der Dorliker um Namensänderung als einen "berechtigten Akt sozialer Notwehr"! Soweit die Hintergründe zu dieser gewiss nicht alltäglichen Namensänderung einer politischen Gemeinde.
Diese Angaben sind entnommen dem ortsgeschichtlichen Werk von Nationalrat Konrad Basler und Reinhard Nägeli: Thalheim an der Thur. Aus der Geschichte einer Gemeinde im Zürcher Weinland. Herausgegeben zur Erinnerung an die Namensänderung vor hundert Jahren. Thalheim 1978.