Die Doppelringstempel von 1888

Wer kennt sie nicht, diese nicht gerade ästhetischen Doppelringstempel, die wir meist auf stehenden Helvetias antreffen, seltener auf Zifferzeichnungen. Manche tragen in der Mitte des Innenkreises ein handschriftliches Datum, fast ebenso viele sind ohne Datierung (Abb. l + Titelseite).

Wir finden sie auch auf späteren Ausga ben und mitunter wurden gar ausländische Marken mit diesen schlecht bekannten und wenig geliebten Stempeln entwertet. Im alten Handbuch der Schweizer Abstemplungen 1843 - 1882 finden wir eine ganze Seite davon abgebildet (S. 587). Unter dem Titel «Kuriosa» ist dazu folgender Kommentar zu lesen:

«Diese der alten Ringstempel aus der Rayon-Zeit sind seit 1882 in verschiedenen Formen wieder in Gebrauch zur Entwertung ungestempelt oder mangelhaft gestempelt ankommender Frankaturen, sowie zur Entwertung von Frankaturen auf sperrigen Poststücken, wobei das Abgangsdatum handschriftlich beigefügt wird. Der Gebrauch dieser Stempel hat sich, wie die Musterbeispiele zeigen, bis in die Neuzeit erhalten.»

Im neuen Handbuch ist von diesem Stempel seltsamerweise nicht mehr die Rede. Abbildung und Kommentar wurden nicht übernommen und diese Stempelform wurde auch nicht in die Gruppe 2 (Ringstempel) integriert. In der neuzeitlichen Literatur finden sich gleich zwei Abhandlungen, in welchen von diesen Stempeln die Rede ist. In der «Postgeschichte» Nr. 17 und 18 (März und Juni 1984) erwähnt Louis Vuille unter dem Titel «Les cachets d'annulation» diese Stempelform. Er situiert deren Auftreten gegen 1890 und stellt fest, dass diese ab 1908 auch zur Nachentwertung ausländischer Marken gedient hat. Dabei muss hier klargemacht werden, dass mit der französischen Bezeichnung «cachets d'annulation» Stempel gemeint sind, die ganz spezifisch zur Nachentwertung nicht oder ungenügend gestempelter Marken verwendet wurden. Auch Pierre Guinand hat sich mit diesem Stempel näher auseinandergesetzt («Exil 2/8, bonjour 2/8!» SBZ 3/86). Wie Vuille betrachtet auch er diesen als «cachet d'annulation». Damit vertreten beide die wohl allgemein vorherrschende Auffassung, wir hätten es hier mit Nachentwertungen zu tun und bis vor kurzem hätte auch ich einiges auf diese Version gewettet. Die Sache verhält sich aber in Wirklichkeit etwas anders.
Durch Zufall bin ich in der Bibliothek der PTT auf die Verfügung Nr. 221 der schweizerischen Postverwaltung vom 8. Oktober 1888 gestossen. Diese trägt den Titel «Entwerthung der Frankomarken auf Fahrpoststücken» und kündigt die baldige Einführung des uns hier beschäftigenden hölzigen Doppelringstempels an. Abbildung 2 zeigt diese Verfügung im Original.

Abb. 2

Der Wortlaut der Verfügung macht klar, dass wir es hier - jedenfalls ursprünglich - nicht mit einem Nachentwertungsstempel zu tun haben, sondern mit einem durchaus regulären Entwertungsstempel, der überall dort verwendet werden sollte, wo der ordentliche Datumstempel keine vollständigen und deutlichen Abdrücke zuliess. Wir wissen nun auch, dass jede rechnungspflichtige Poststelle (davon gab es damals 1382) mit einem solchen Stempel ausgerüstet wurde, womit sich die relative Häufigkeit dieses Abdruckes erklärt. Wir begreifen ferner, warum diese Stempel -jedenfalls zu Beginn ihrer Verwendung - auf Ganzstücken kaum anzutreffen sind, wurden sie doch zu Entwertungen von Marken auf Emballagen, Kisten, Cartons und ähnlichen Verpackungen verwendet. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Stempel mitunter nicht auch zur Nachentwertung verwendet worden wären und zwar sowohl für inländische, wie auch für ausländische Marken. Guinand liefert dafür zwei sehr schöne Beispiele und Vuille zeigt eine Frankreichmarke vom Typ «Sage», die mit Sicherheit mit diesem Stempel nachentwertet wurde. Es erhebt sich deshalb die Frage, ob die Postverwaltung im Nachhinein über die Verwendung der Holzringstempel noch andere Vorschriften erlassen hat. Auch hierüber befindet sich in der PTTBibliothek ein interessanter Hinweis. Unter Berufung auf die Akte 681.3.1. vom 23.1.1924 (die leider nicht erhalten blieb) fand ich folgenden resümierenden Vermerk: «Ungestempelt eingehende ausländische Wertzeichen sollen mit dem runden Holzstempel entwertet werden.» Also sind die Doppelringstempel, jedenfalls am Ende ihrer «Karriere», doch noch offiziell zu Nachentwertungsstempeln umfunktioniert worden, allerdings, nach dem heutigen Stand unseres Wissens, nur für ausländische Marken. Die Abbildungen 3 und 4 vermitteln zwei Beispiele solcher Nachentwertungen ausländischer Marken, wobei es jedoch etwas bedenklich stimmt, das beide Belege aus der Zeit vor dem 23.1.1924 stammen. Ob hier wohl das letzte Wort gesprochen ist?

Abb. 3: Brief vom 25. Rumänienzug vom 23.5.1921

Abb. 4: Infla-Briefvom 17.9.1923

Die Tatsache, dass ab und zu Holzringstempel auftreten, die zur Nachentwertung auch von inländischen Marken Verwendung fanden (die Abbildungen 5 und 6 zeigen solche Beispiele), wirft die Frage auf, ob von der Postverwaltung nicht auch eine entsprechende Weisung erlassen worden ist. Bis heute ist m.W. eine solche nicht bekannt geworden. Ich halte es aber für durchaus möglich, dass es eine solche gegeben hat. Vielleicht hilft da ein anderer Zufall weiter. Nachgewiesen ist dagegen die offizielle «Abberufung» der Doppelringstempel. Sie erfolgte mit der Dienstlichen Mitteilung Nr. 67 vom 9. Mai 1925. Auch diese sei hier im Bild wiedergegeben (Abb. 7). Damit hat also - nach offizieller Lesart jedenfalls - die Verwendung der Doppelringstempel zur Nachentwertung nur knapp anderthalb Jahre gedauert. In der Praxis sieht das allerdings etwas anders aus. Nicht alle Posthalter haben diese Vorschrift befolgt. Guinand hat gar vor nicht allzu langer Zeit noch einen solchen Originalstempel gefunden und Vuille hat deren Verwendung bis 1972 (!) nachgewiesen. Wollte man aus der Geschichte der Holzringstempel ein Fazit ziehen, so müsste man wohl vor allem die mangelhafte Disziplin einiger Posthalter rügen. Obwohl in der Verfügung von 1888 ganz klar stipuliert ist, dass bei der Verwendung der Ringstempel «gleichzeitig das Datum auf der Marke vorzumerken»sei, schätze ich, dass fast die Hälfte der mit diesen Stempeln entwerteten Marken kein handschriftlich eingesetztes Datum aufweist. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob die vielen Stücke ohne Datum damit zu erklären sind, dass bei Mehrfachfrankaturen das Datum jeweilen nur auf eine Marke gesetzt worden wäre. Das wäre von der Sache her durchaus vertretbar gewesen. Das fast völlige Fehlen diesbezüglicher Ganzstücke lässt einen schlüssigen Beweis nicht zu, was Grund genug sein dürfte, hier die Maxime «im Zweifel für die Angeklagten» anzuwenden.



Diese juristische Wohltat muss jedoch all denjenigen Posthaltern verwehrt bleiben, die die Doppelringstempel noch Jahre nach der Aufforderung zu deren «Beseitigung» weiter verwendet haben. Verleihen wir diesen dafür in Gedanken den «ordre pour le merite philatelique», haben sie doch mit ihrem Ungehorsam unser Hobby um einige Rosinchen bereichert.